Im Blickpunkt der von Westen auf die Stadt zuführenden Strasse erscheint zunächst der imposante Torturm des ehemaligen Mitteltores und dahinter hochaufragend die Doppelturmfassade der Marienkirche. Beide Zeugen der mittelalterlichen Stadt Prenzlau sind einmalig in Deutschland, ja europaweit bedeutsam.
Bereits vor der Stadtgründung Prenzlaus gab es hier Siedlungen, so der Ukranen im 6./7. Jahrhundert und weitere mit der Einwanderung deutscher Siedler. Die damit verbundene Christianisierung äußerte sich im frühzeitigen Bau mehrerer Kirchen. 1170 entstanden bereits die St. Sabinenkirche, etwas später die St. Jacobikirche und die alte Nicolaikirche. Die einstiegen Siedlungen wuchsen zur Stadt zusammen. Prenzlau erhielt 1234 vom pommerschen Herzog Barnim I. Magdeburger Stadtrecht. Er beauftragte acht Lokatoren mit dem planmäßigen Ausbau der Stadt. Auf einem annähernd ovalen Grundriss entstand ein gitterförmiges Straßennetz mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, einem Markt und der Marienkirche als Gründungsbau. Als die Stadt um 1250 an die Askanier abgetreten wurde, war sie bereits als "freie Stadt" etabliert und christianisiert. Sie lag an einer geografisch günstigen Stelle - das versumpfte Uckerland war hier gut zu überqueren, so dass sich hier die Handelsstrassen von Magdeburg nach Stettin und von Mecklenburg an die Oder kreuzten. Die Ucker war damals bis zur Ostsee schiffbar und sicherte die Verbindung zur Hanse.
Die Stadt wurde rasch reich und eine rege Bautätigkeit setzte ein. Der Wohlstand der Bürger äußerte sich in der seit 1287 gebauten Stadtmauer mit vier Stadttoren. Bis zur Reformation entstanden sieben Kirchen und drei Klöster. Die Franziskaner und die Dominikaner siedelten sich hier an sowie ein Nonnenkloster Maria Magdalena. Es gab vier Hospitäler mit ihren Kapellen. Keine Stadt der Mark Brandenburg verfügte über eine solch reiche Kirchenlandschaft!
Nach dem Aussterben der Askanier - ihr letzter Spross Markgraf Heinrich ("das Kind") wurde in der Marienkirche begraben - bewarben sich mehrere Landesherrn um die Gunst der Stadt, um sie als Grenzfeste im Dreieck Brandenburg - Mecklenburg - Pommern zu nutzen. Die Bürger der Stadt profitierten davon, indem sie jedem rivalisierenden Herrscher erweiterte Privilegien abtrotzten. Für andere Städte der Region war das 14. Jahrhundert eine Zeit des Niedergangs, für Prenzlau war es die Blütezeit. Die Herzöge von Vorpommern gestanden im Namen von König Christoph II. von Dänemark Zollfreiheit ihrer Waren in Dänemark zu. Nachfolgende Markgrafen räumten der Stadt 1324 bzw. 1348 weitere Rechte ein. 1399 bestätigten die Herzöge von Stettin alle bisherigen Rechte. Andere Privilegien nahm der Rat einfach in Anspruch und ließ sie im Nachhinein von König Karl IV. bestätigen. So vermochte die wohlhabende Bürgerschaft trotz aller Unruhen die Halle der Marienkirche mit ihrem prachtvollen Ost-Giebel und ihren beiden hohen Türme zu vollenden.
1415 gelangte Prenzlau in den Besitz des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, nachdem er mit der Mark belehnt wurde. Seitdem war für die Stadt die Zeit ihrer hohen Selbständigkeit vorbei. Sie entwickelte sich später zu einer typisch preußischen Ackerbürger- und Garnisonstadt. Kasernenbauten erlangten ihren festen Platz im Stadtbild.
Am Ende des 2. Weltkrieges wurde Prenzlau durch einen Großbrand zu 80 % zerstört, dem auch die herrliche Marienkirche zum Opfer fiel.
Die Hauptpfarrkirche St. Marien, ein hochgotischer Backsteinbau mit dreischiffiger Halle und jeweils drei Polygonen an der Ostseite, überragt mit ihren Doppeltürmen die Stadt. Die legendären Maßwerkgiebel über der Ostwand wären einer Kathedrale würdig.
Ihre Baugeschichte setzte Maßstäbe für die Architekturentwicklung Norddeutschlands.Der Ursprungsbau zwischen 1235 - 1250, eine gewölbte dreischiffige Hallenkirche mit Querschiff und gestreckt rechteckigem Chor aus Feldstein, ist durch Ausgrabungen nachgewiesen. Der Unterbau der beiden Westtürme besteht noch heute bis ins vierte Geschoss aus Granitquadern als "Rest" einer Doppelturmfassade schon am Gründungsbau. Die Doppelturmfront gab dem Gebäude ein repräsentatives Aussehen und zeugt vom Beginn der monumentalen Bautätigkeit im 13. Jahrhundert mit Feldstein. Über dem spitzbogigen Westportal befindet sich ein - sonst in der Gegend eher seltenes - Rundfenster.Vom Ende des 13. Jahrhunderts bis in das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts wurde unter Beibehaltung der Westtürme ein großzügiger Neubau aus Backstein errichtet. So entstand die siebenjochige Halle mit polygonalen Endungen aller drei Schiffe.
Der Neubau vollzog sich in zwei Abschnitten. Die Zäsur der beiden Bauabschnitte liegt zwischen dem dritten und vierten Joch von Osten und wird durch zwei Treppentürme markiert. Der Abriss des Vorgängerbaus erfolgte erst 1325. 14 Jahre danach wurde die Weihe der neuen Kirche vollzogen. Das äußere der Backsteinhalle wird geprägt von der Geschlossenheit des steilaufragenden Baukörpers und vom Reichtum seines gotischen Maßwerkschmuckes, das Innere hingegen durch die feinlinige Eleganz der hohen Arkaden.
Besondere kunstgeschichtliche Bedeutung kommt der Gestaltung der Ostwand zu: die Schlusspolygone stehen in einer Flucht und bilden das Tragwerk für den monumentalen Giebel, der in der Gesamtbreite der Halle über der Ostwand aufsteigt und diese zur Hauptschauseite der Kirche macht, dem Markt zugewandt. Hier konnten wertvolle Erfahrungen der Backsteinarchitektur Frankreichs und Deutschlands, so des Kölner Doms oder des Strasburger Münsters, genutzt werden.
Das Filigran des hochgotischen, freistehenden Maßwerkgitters aus Ziegelformsteinen und Terrakotta ist einmalig in der norddeutschen Backsteingotik. Es sollte aber nicht allein, sondern zusammen mit den Giebelreihen an den Langseiten gesehen werden. Im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts wurden Kapellen und Vorhallen zugefügt, die ihrerseits mit bemerkenswerten Kompositionen zum Reichtum der Giebel beitragen, vor allem die Christophoruskapelle an der Südseite des Chores und die Nordvorhalle mit einer schmuckreichen Gestaltung des Maßwerkgiebels aus der Brunsberg-Schule. Sie erinnern an die Hochgotik der Katharinenkirche in Brandenburg und den herrlichen Chor von St. Stephan in Gartz.
Die Westtürme wurden im 14. Jahrhundert um drei Backsteingeschosse aufgestockt und mit Spitzbogen- und einfachen Maßwerkblenden verziert. Der Nordturm erhielt 1546 ein Turmwächterhaus. Der Türmer hielt hier Tag und Nacht Wache und läutete die Sturmglocke bei Gefahren oder gab Trompetensignal bei anrückenden Feinden. Heute hat man von hier oben einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und die Uckermark.
1844 /46 wurde die Kirche unter dem Architekt Eduard Knoblauch restauriert und 1878/87 von außen saniert.
Im April 1945 brannte die Kirche bis auf die Umfassungsmauern aus. Die Turmaufsätze wurden schwer beschädigt, sämtliche Gewölbe stürzten ein. Aber die Pfeiler mit den spitzen Bögen der Arkaden und vor allem der prächtige Maßwerkgiebel über der Ostwand blieben erhalten. Seit 1970 ist der Wiederaufbau im Gange. Das Äußere konnte inzwischen vollendet werden. Aber im Inneren wird noch an der künstlerischen Ausstattung gearbeitet.
Dennoch finden in St. Marien bereits große Konzerte statt, die auf treffliche Weise den musikalischen Genuss mit dem Erlebnis des einmaligen Bauwerks verbinden.
Der 1512 in Lübeck gefertigte Schnitzaltar wurde 1945 ebenfalls zerstört und durch Diebstahl reduziert. Er wurde aber jüngst unter Freilegung der erhaltenen Originalfassung restauriert. Das Relief der Predella zeigt die Anbetung der Könige. Im Schrein ist eine Mondsichelmadonna, umgeben von Engeln zu sehen. Sie wird flankiert von Heiligen, so von Anna Selbdritt, Katharina, Johannes dem Evangelisten und Barbara, die in zwei übereinander geordneten Reihen stehen. In den Flügeln sind die zwölf Apostel angeordnet.
Quellen:
© Märkische Eiszeitstraße, M. Klebert, 2006