Die Stadt im Parsteiner See Nicht weit von Oderberg erstreckt sich, von Höhenzügen umgeben, der große Parsteiner See. Dort soll, wie es hieß, vor langer Zeit eine Stadt gestanden haben, durch die Schuld ihrer Bewohner untergegangen sein und noch auf dem Grund des Sees liegen. Die Bewohner dieser Stadt litten sehr unter dem Mangel an gutem Trinkwasser. Schon viele Brunnen hatten sie gegraben, doch nach kurzer Zeit bereits war das Wasser wieder versiegt, oder es war trübe geworden und damit für Mensch und Tier nicht genießbar. Eines Tages kam ein Fremder in die Stadt. Als die Leute ihm ihre Not klagten, versprach er Abhilfe. Er grub auf dem Marktplatz neben einem großen Stein, der dort lag, einen Kreis, trat hinein und murmelte einige Worte vor sich hin, die niemand verstehen konnte. Dann wandte er sich an die Bürger und sprach feierlich: "Hier grabt nun euern Brunnen. Ihr werdet gutes, klares Wasser haben. Aber vergeßt eines nicht: Jeden Abend muß der Brunnen mit diesem Stein zugedeckt werden!" Dabei deutete er auf den großen Stein. Danach schritt er über den Marktplatz davon, und keiner hat ihn jemals wiedergesehen. Eifrig gruben die Leute an der bezeichneten Stelle mitten auf dem Platz und fanden, was bisher gefehlt hatte: gutes, klares Wasser. Da waren sie froh, und sie bedeckten auch, wie es der Fremde gesagt hatte, jeden Abend den Brunnen mit dem großen Stein. Soging es viele Jahre, doch dann geschah das Unglück. Es war Erntefest und jung und alt auf dem Marktplatz beim Tanzen und Zechen. Niemand dachte daran, den Brunnen zuzudecken. In der tiefe begann das Wasserzu wallen und zu brodeln und stieg immer höher und lief schon über den Rand. Die übermütigen Tänzer und Zecher bemerkten es nicht, sie zogen ins Wirtshaus und tranken und zechten weiter. Von vielen unbeachtet, erschien in der Wirtshaustür ein alter Bettler und bat um ein Stück Brot und ein Nachtquartier. Aber auf seine Bitten antworteten die Bezechten nur mit Gelächter und Spott. Dann stießen sie den alten in die Dunkelheit hinaus. Erst als er bei der Mühle vorbeikam, gab ihm die Magd, die dort vor der Tür stand und dem ausgelassenen Treiben von weitem zusah, mitleidig ein Stück Brot und etwas Käse und holte ihm aus ihrer Kammer einen Groschen. Der Bettler dankte und flüsterte ihr einige Worte zu. Zu ihrem Schrecken vernahm die Magd, sie solle gleich ihr Bündel schnüren und mit ihm fortgehen, denn er wisse, der Stadt drohe Unheil. Sie dürfe sich aber nicht mehr umsehen. Eilig verließ sie mit ihm die Stadt. Dort war das Wasser unterdessen gestiegen und überschwemmte schon den Marktplatz. Doch aus dem Saal des Wirtshauses drang noch immer das Lachen und Kreischen der Tanzenden. Plötzlich fegte mit wildem Sausen ein gewaltiger Sturm heran, dem ein furchtbares Unwetter folgte. Der Sturm heulte durch die dunklen Straßen und Gassen, das Wasser strömte ihm nach und ertränkte alles, was ihm in den Weg kam. Am andern Morgen stand der alte Bettler mit der Magdauf der Anhöhe und wies hinunter: Wo die Stadt gestanden hatte, schimmert ein der Morgensonne ein langgestreckter See. Ganz still lag die große Wasserfläche. Nichts erinnerte mehr an die Stadt, die darin versunken war. Quelle:"Der Schatz von Chorin" Sagen und Märchen aus der Mark Brandenburg ausgewählt und bearbeitet von Albert Burkhardt erschienen im Stapp-Verlag, Berlin1991 |