Bielinek (Bellinchen)
 

Im Landbuch der Neumark 1337 erstmals erwähnt, gehörte es seit alterher ständig zum Besitz der Gutsherren von Hohen Lübbichow, damals der Familie von der Marwitz. Da kein Acker vorhanden war, lebten nur Fischer im Dorf. Schon früh wird aber auch erfolgreich Handel mit Fischen betrieben und schließlich versorgten auch Lebensmittelläden sowie Krüger, Bäcker und Fleischer die Oderschiffer mit Proviant. Seit 1722 gab es hier auch eine Ziegelei und Mitte des 19. Jahrhunderts siedelten sich die Märkischen Kies- und Sandwerke am Ort an. Schließlich wohnten im Ort auch mehrere Besitzer von Dampf- und Schleppkähnen.

Bellinchen
Bellinchen auf einer Postkarte aus dem Jahre 1900 (Quelle: www.zeno.org - Zenodot Verlags- gesellschaft mbH)

Die alte Holzfachwerkkirche wurde 1909 durch einen achteckigen Neubau mit viereckigem Turm ersetzt und als Kirche zur Hl. Babara geweiht. Diese fiel 1945 den Kämpfen um den Brückenkopf Schwedt zum Opfer. Die komplett zerstörte Kirche wurde zwischen 1991-95 originalgetreu wiedererichtet.

Kirche in Belinchen. Foto H.J. Müller
Dorfkirche in Bellinchen. Foto E.M. Müller


Innenraum der Kirche. Foto W. Ebert

Gut erkennbar ist der Abfahtrpunkt der Fähre, die bis zum Kriegsende den Fußgängerverkehr zwischen Bellichen und dem auf der westlichen Oderseite gelegenen Lunow gesichert hat.
Neben den großen Zerstörungen im Ort, zeugen noch heute Schützengräben und Geschützstellungen von den Kriegsereignissen in Bellinchen.
Zwischen dem 10. und 12. Februar 1945, die Tage, an denen die Rote Armee das Dorf besetzte, hatten etwa 90 % der Einwohner den Ort über das Eis der Oder in Richtung Lunow verlassen.

 

Das Naturschutzgebiet Bellinchen

 
Schon 1863 gab es erste Berichte über außergewöhnliche Pflanzenfunde an den Oderhängen von Bellinchen. Auf Grund dessen besuchten weitere namhafte Botaniker das Gebiet und bestätigten nicht nur die Funde, sondern erweiterten die Liste der außergewöhnlichen Besonderheiten wesentlich. Sie machten den Eigentümer des Rittergutes Hohen-Lübbichow, Dr. h. c.Walter v. Keudell, auf den hohen Wert des Gebietes aufmerksam. Daraufhin folgte v. Keudell dem Wunsche der Brandenburgischen Provinzialkommission für Naturdenkmalpflege, hier ein Naturschutzgebiet einzurichten. Am 19. Nov. 1927 wurden durch Polizeiverordnung die „Oderhänge bei Bellinchen“ in einer Größe von 72 ha zum Naturschutzgebiet erklärt. Inoffiziell hieß das Gebiet damals auch „von Keudell´sches Naturschutzgebiet“. In Polen gilt der Naturschutzstatus seit 1957.

Karte des Schutzgebietes Bielinek

Übersichtskarte des Naturschutzgebietes (aus Natur Westpommerns)

Das Gebiet liegt direkt an der deutsch-polni­schen Grenze, ca. 7 km nördlich von Zehden. Es ist am südlichen Hang einer 5 km langen Strecke des alten Flussbetts der Oder zwi­schen Bielinek und Lubiechow Gorny gele­gen. Es umfasst bis zu 70 m hohe, steile Hänge (Neigung bis 85°). Die Hänge bestehen aus Geschiebelehm der Grundmoräne. In den letz­ten Jahrtausenden unterlagen sie ständig den natürlichen Erosionsprozessen des Oderwas­sers. Der Boden ist reich an Kalziumcarbonat. Die Hänge sind heute vollständig bewaldet; hier wachsen Laubwälder mit Buchen und Eichen, darunter auch Flaum-Eichen. Die Bäume sind z.T. 300 Jahre alt. Die ältesten erreichen eine Umfang von 300-400 cm. Der Standort ist der einzige natürliche Standort in Polen, etwa 500 km nördlich vom Verbreitungsge­biet dieser Art entfernt. Ob sich die Art natürlich entwickelt hat oder angepflanzt wurde, wird noch heiß diskutiert.
Der Abhang ist mit 12 senkrechten Schluchten in nordwestlicher Richtung durchschnitten. Jede Schlucht be­sitzt einen traditionellen Namen. Am Fuß er­streckt sich eine Ebene, die Zehdener Marschland oder Zehdener Polder genannt wird.


Die Oderhänge von Bellinchen bei Markenthun. Foto W. Ebert

Die Oderhänge von Bellinchen bei Markenthun. Foto W. Ebert

Die Pflanzenwelt dieses Naturschutzgebiets besteht aus über 500 Arten. Zu den wertvollsten gehören die bereits er­wähnte Flaum-Eiche, Purpurblauer Steinsa­me, Deutscher Alant (galt noch vor einigen Jahren als ausgestorben), Astlose Graslilie, Großes Federgras, Pfriemengras, Eisbeere, Goldhaar-Aster, Purpur-Schwarzwurzel sowie einige Sommerwurze, darunter auch Große Som­merwurz.
Noch vor vierzig Jahren beobachtete man hier einige xerobionte, nur an xerotherme Stand­orte gebundene Pflanzen: Gemswurz und die Orchideen- arten: Purpur- und Dreizähniges Knabenkraut. Beide waren in letzten Jahren nicht mehr aufzufinden. Man vermutet, dass der Baumbewuchs an den Hängen der xerothermen Fluren zur Veränderung der Standortsbedingungen bezügliche der Licht- und Wärmeverhältnisse geführt hat. Der mög­licherweise eintretende Rückgang bzw. Ver­lust seltener Pflanzenarten wäre ein Verlust für ganz Polen, weil es die letzten Standorte des Gemswurzes und des Dreizähnigen Kna­benkrautes in Polen waren.

Weißes Waldvöglein Dreizähniges Knabenkraut Wespenspinne
Weißes Waldvöglein. Foto W. Ebert Dreizähiges Knabenkraut W.Ebert Zebraspinne   Foto W. Ebert    

 Die Fauna des Naturschutzgebiets ist ebenso interessant und wie die Pflanzen wärmelie­bend. Unter den hier vorkommenden Arten sind seltene Käferarten, wie der sonst nur in Südeuropa vorkommende Blattkäfer Cryptocephalus elegantulus und der Walker-Dickmaulrüßler (Otiorhynchus fullo), auch Spinnen wie die Wespen- oder Zebraspinne (Argiope bruennichi) treten hier auf. Im Eichen-Buchenwald beobachte­te man den Großen und den Kleinen Eichen­bock. Die Vorkommen dieser und weiterer Arten von Wirbellosen sind die einzigen oder einige der wenigen in Polen.
Das Gebiet gilt als potentieller Lebensraum der Sma­ragdeidechse und der Bilche (Gliridae), auch Schläfer oder Schlafmäuse genannt.. Hier sind we­nigstens 150 Vogel- und Säugetierarten regi­striert.
 
Das Naturschutzgebiet ist durch Lehrpfade gut erschlossen. Sie sind durch eine grün-weiße Markierung gekennzeichnet. Die beiden wichtigsten sollen hier kurz vorgestellt werden:
Pfad I, etwa 1 km lang und in 20 Minuten zu durchwandern, führt von der Pumpstation Bellinchen zu einer Aussichtshöhe und zurück zum Ausgangspunkt. Er beginnt an einer Orientierungstafel (polnisch), die über das Reservat informiert. Von da geht es in die Orchideenschlucht, benannt nach dem einst häufigen Vorkommen des Weißen Waldvögleins (Cephalanthera damasonium), das wahrscheinlich wegen zu starker Überschattung so gut wie verschwunden ist.


Beginn des Lehrpfades I. Foto W. Ebert
Beginn des Lehrpfades I. Foto W. Ebert

Die Pumpstation am Nodende des Polders. Foto W. Ebert
Pumpstation am Nordende des Polders. Foto W. Ebbert


Die am Grund ebene Schlucht trägt einen Eschen-Ulmenwald und weiter oben einen ungleich alten baltischen Buchenwald. Noch weiter oben findet sich dann ein wärmeliebender Eichenwald. Vom Aussichtspavillon aus hat der Betrachter einen herrlichen Blick auf den Zehdener Polder. Vor ihrer Regulierung floss die Oder an der Moräne entlang und schuf durch Unterspülung die steilen Hänge. Ende des 18. Jh. begannen die Arbeiten zur der Regulierung des Oderlaufs, an deren Ende – Anfang des 19. Jh. – der Fluss um 2 bis 3 km nach Westen verlegt worden war. Nach der Oderregulierung (1904) war das gewonnene Land in fruchtbare Wiesen umgewandelt worden.
Pfad II ist ebenfalls etwa 1 km lang, aber weniger anstrengend, da vorwiegend eben. Er beginnt an der Straße nach Markocin (Markenthun). Beide Hänge der Schlucht deckt ein baltischer Buchenwald  mit monumentalen Buchen und einer starke Trauben-Eiche.  Am Weg ist überwiegend forstlich bewirtschafteter Mischwald.   Am Steilabfall steht ein Aussichtspavillon, von dem man einen Blick auf die links liegende 30 m hoch aufragende Endmoräne von Cedynia hat. Bemerkenswert sind am Standort die hier am Hang stehenden 200 – 300jährigen Flaumeichen.
Am Beginn des Pfades an der Straße nach Markocin steht ein Gedenkstein, der 1997 „In Erinnerung an den 70. Jahrestag der Gründug des Naturschutzgebietes Bielinek“ von Naturfreunden hier aufgestellt worden war.


Gedenksstein zum 70. Jahrestag des Bestehens des Naturschutzgebbietes. Foto E.M.Müller
Gedenkstein zum 70. Jahrestag des Bestehens des Naturschutzgebbietes. Foto E.M. Müller
Aussichtspunkt am Flaumeichenbestand. Foto E.M.Müller Aussichtspunkt am Flaumeichenbestand.
Foto E.M. Müller

Ein großer Teil des Naturschutzgebiets ist das ganze Jahr über zugänglich - die Bege­hung erfolgt auf drei Wegen. Die Routen sind mit Informationstafeln versehen. An jeder der zwölf Schluchten gibt es Aussichtspunk­te, von denen man einen herrlichen Blick auf das ganze Odertal und den Zehdener Polder hat. Wenn man das Naturschutzgebiet an warmen Tagen besucht, sollte man Getränke einpacken, da die Lufttemperaturen auf der Wanderung 12-20°C höher sein können als in der benachbarten Umgebung. Besser ist es auf den abgesteckten Routen zu bleiben, da in den letzten Jahren an vielen Stellen Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg gefunden wurden. [geküzt und tw. verändert aus dem Buche „Natur Westspommerns“ und aus Großer 2001].
 
 

Die Biologische Station in Bellinchen

 
Die Biologische Station Bellinchen wurde am 12. und 13. Juni 1928 in den Räumen des ehemaligen Jägerhauses am südlichen Dorfausgang und hart am Westrand des Naturschutzgebietes eröffnet.
Aufgabe der Station war die gründliche und dauerhafte Erforschung des Gebietes. Durch Kurse und das Vergeben von Arbeitsplätzen sollten Naturwissenschaftler und Lehrer weitergebildet werden.











Die Biologische Station Bellinchen wurde 1945 vollständig zerstört und bisher nicht wieder aufgebaut. (Foto aus Sukopp 2001)

Im 2. Weltkrieg wurden das Bildarchiv, große Teile der Bibliothek und eine umfangreiche Kartei zur „Bibliographie der Naturdenkmalpflege“ aus der staatlichen  Stelle für Naturdenkmalpflege in Berlin nach Bellinchen ausgelagert. Nach einem Bomben-Volltreffer des Berliner Dienstgebäudes der Reichsstelle für Naturschutz am 30.1.1944 verbrachte man die wenigen geretteten Unterlagen nach Bellinchen und verlegte gleichzeitig die gesamte Dienststelle dorthin; im Februar oder März (?) kam die Reichsstelle für Naturschutz von Bellinchen nach Egestorf (Lüneburger Heide).
Die höchst interessanten Sammlungen der Biologischen Station sind 1945
verschollen. Das Gebäude wurde durch die Kriegshandlungen zerstört und bisher nicht wieder aufgebaut.

 
Quellen:
Autorenkollektiv: Natur Westpommerns. 1 Auflage. Oficyna in Plus
   Szczecin 2004
Endtmann, K. J.: Natur- und Landschaftschutz im Gebiet um Bellinchen/  
   Bielinek und Hohenlübbichow/Lubiechów Górny. In: Hohenlübbichow 2008,
   Eberswalder Forstliche Schriftenreihe, Band XXXVI, 2008
Großer, K. H.: Das Naturschutzgebiet „Bellinchen“ – Rezerwat leoenostepowy „Bielinek“. Schr.-R. d. Deutschen Rates für Landespflege (2001), Heft 72, S.
   50-56
Nationalpark Unteres Odertal.Verein der Freunde des Deutsch-
   Polnischen Europa-Nationalparks Unteres Odertal e. V. Internet: Das
   Keudell´sche Naturschutzgebiet
Sukopp, H.: Zur Erforschung des Naturschutzgebietes „Bellinchen“ bis 1945
   Schr.-R. d. Deutschen Rates für Landespflege (2001),  Heft 72, S. 91-94
 
© Märkische Eiszeitstraße, W. Ebert 2011